Warntag 2020 "Wir warnen Deutschland" - Nicht - Teil 2
Max Hohlfeld June 14, 2021 #Datenschutz #Google #Katastrophenschutz
Ursprünglich wollte ich bereits im ersten Teil des Artikels über die Technologie Cell Broadcast schreiben. Da dies aber nicht die Ursache des Versagens des Warntags bekämpft hätte, sondern nur ein besseres Mittel zur Bevölkerungswarnung ist, wurde im ersten Teil dieses Problem behandelt. Das Problem "Wie warne ich möglichst alle Teile der Bevölkerung?" bleibt aber weiterhin bestehen.
Früher wurde das meist durch Sirenen erledigt. Diese warnen zwar, tragen aber keine weiteren Informationen unter die Bevölkerung. So musste man dann immer noch ein zweites Medium bemühen, wie z.B. das Fernsehen oder Radio. Sicher hat jedes Warnmittel bestimmte Kosten und verursacht Personalaufwand durch Wartung, Testung und Erneuerung. Warum man dennoch so viele Sirenen abgebaut hat, ist unverständlich. Denn es gilt der simple Grundsatz: je mehr Möglichkeiten es gibt, um Warnungen zu vermitteln, desto mehr Menschen werden potenziell erreicht.
Die EU macht Druck
Die Europäische Union hat die durch den Wegfall der Sireneninfrastruktur entstandene Lücke erkannt. Deshalb forderte sie 2018 in einer Richtlinie, dass alle Mitgliedsstaaten bis 2022 ein auf elektronischer Kommunikation basierendes Warnsystem entwickeln. An ein solches System wurden bestimmte Anforderungen gestellt1:
- grundsätzlich sollen Warnungen über das Mobilfunknetz übertragen werden
- ein Abweichen von diesem Punkt ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich:
- die Effektivität und Kapazität des Warnens darf dem vorangegangenen Dienst in nichts nachstehen
- Warnungen müssen leicht empfangbar sein
- eine Registrierung ist nicht nötig
- alle Endnutzer sollen zeitlich und geographisch speziell gewarnt werden
- bei Einreise in einen Mitgliedsstaat soll in der jeweiligen Sprache über das Warnsystem informiert werden
- das Warnsystem ist für den Endnutzer kostenlos
- es herrscht "optimaler Datenschutz"
All diese Punkte werden durch Cell Broadcast erfüllt. Deshalb plant die EU bereits eine EU-weites Warnsystem, welches auf Cell Broadcast basiert. Es trägt den Namen EU-Alert und wird bereits in angepasster Form in einzelnen Mitgliedstaaten national verwendet. Sofern ein alternatives System dem Cell Broadcast aber in nichts nachsteht, ist es zugelassen. Genau dies ist der Fall in Deutschland. Hier ist Cell Broadcast ist ein unbekannter Begriff, dafür gibt es aber gleich drei Warnapps: NINA, KATWARN und BIWAP.
Was ist Cell Broadcast und wie funktioniert es?
Um Cell Broadcast zu verstehen, muss man wissen, wie Mobilfunk funktioniert. Mobilfunk verwendet als Transportmittel elektromagnetische Wellen in der Luft. Eine Welle besitzt charakteristische Größen wie Frequenz, Wellenlänge oder Phase. Nun verändert man bestimmte Größen der Welle um Informationen zu übertragen. Die Wellen werden zwischen zwei Parteien hin- und hergeschickt. Zum einen gibt es Handys als typische Empfänger. Auf der anderen Seite stehen Mobilfunkmasten als typische Sender. Das sind Antennen die als Bindeglied zwischen kabelgebundener Kommunikation zum jeweiligen Mobilfunkanbieter und kabelloser Kommunikation über elektromagnetische Welle zum jeweiligen Empfänger agieren.
Quelle: https://www.researchgate.net/figure/Abb-4-Wie-funktioniert-Mobilfunk-8-S-2_fig1_315113442
Eine Antenne hat aber nur eine begrenzte Reichweite. Den Bereich, welchen sie problemlos abdeckt, wird als ihre Funkzelle bezeichnet. Nun gilt es also, das gesamte Gebiet mit Antennen auszustatten, sodass eine optimale Ausleuchtung mit wenigen bis gar keinen Funklöchern ensteht. Es muss aber neben der Ausleuchtung auch auf die Intensität der Nutzung geachtet werden. Das heißt, dass in Städten mit mehr Nutzern auch mehr Kapazitäten für Verbindungen bereitgehalten werden müssen.
Was Cell Broadcast angeht, übersetzt man die beiden Begriffe einzeln ins Deutsch so wird die Funktionsweise klar: Zellen Rundfunk. Bei Cell Broadcast bestimmt man ein oder mehrere Funkzellen. Nun wird an alle registrierten Empfänger in diesen Funkzellen eine Nachricht gesendet. Im wesentlichen ähnelt diese Nachricht einer SMS mit dem Unterschied, dass diese einen bestimmten Titel besitzt, und das Handy diese Nachricht dann besonders darstellt.
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Cell_Broadcast
Die so verschickten Nachrichten können bis zu 1395 Zeichen lang sein. Es können Links zu weiteren Informationen enthalten sein. Bild- oder Tonübertragung ist nicht möglich. Dadurch ist eine Rückwärtskompatibilität zu sogenannten Dumbphones möglich. Eine Rückmeldung, wer diese Nachrichten empfangen hat, gibt es ebenfalls nicht. Diese Funktion ist höchstens beim Testen interessant, im wirklichen Ernstfall interessiert das keinen, ob die Nachricht alle erreicht hat.
Es wurde außerdem bedacht, wie mit wechselnden Mobilfunkteilnehmern in einer ausgelösten Zelle umgegangen wird. Cell Broadcast Warnung werden immer für bestimmte Zeit ausgeschickt. Das bedeutet, dass Funkmasten innerhalb dieses Zeitraums regelmäßig Nachrichten ausschicken. So werden neue Teilnehmer in dieser Zelle gewarnt. Bestehenden Teilnehmern bleibt diese erneute Warnung erspart, jede Warnung wird nur einmal auf dem Endgerät angezeigt.
All das lässt Cell Broadcast als datenschutzfreundliches und zuverlässiges Warnsystem erscheinen. Es ist Bestandteil in jedem geläufigen Mobilfunkstandard, dass heißt dass bestehende Hardware wie Funkmasten oder Handys dies Technologie bereits beherrschen. Es fehlt nur eine Software, um die Funkmasten im Zusammenspiel mit dem Zentralen Warnserver auszulösen. Ist das gelöst, kann es höchsten an zwei Punkten scheitern: bei der Verbindung vom Zentralen Warnserver hin zu den Funkmasten und an der allgemeine Netzabdeckung in Deutschland.
Wie lassen sich diese Probleme lösen?
Ersteres ist schnell abgehakt und gleicht dem Resümee aus dem ersten Teil des Artikels. Die Kapazitäten des Zentralen Warnservers müssen ausgebaut werden und ein Verfügbarkeit, auch bei hoher Last, muss garantiert werden. Das gleiche gilt für die Verbindungen zwischen den Zentralen Warnserver und der Cell Broadcast Infrastruktur. Nur so ist gesichert, dass sich der Warntag von 2020 in gleicher Form nicht wiederholt.
Mit den Funklöchern ist das so ein Thema in Deutschland (Screenshot, für genaue Darstellung am besten die Website mit zoombarer Karte besuchen):
Quelle: https://www.breitband-monitor.de/mobilfunkmonitoring/karte
Man sieht, selbst wenn beim Ernstfall auch Funkmasten aller Mobilfunknetzbetreiber Nachrichten an Endgeräte schicken, ist keine hundertprozentige Verfügbarkeit in Deutschland gegeben. Irgendwo gibt es auf diesen Karten immer kleine weiße Flecken der Ahnungslosigkeit. Solange das nicht gelöst ist, kann Cell Broadcast nicht vollkommen zuverlässig sein.
Das ist aber gar kein Nachteil für diese Technologie. Denn die hier aufgezeigten Probleme machen jegliche Warnsystem die auf dem öffentlichen Mobilfunknetz basieren unzuverlässig. Betrachtet man die von der Bundesregierung bisher entwickelten Alternativlösungen, so erkennt man, dass diese unter den gleichen Problemen leiden. Dazu kommt, dass diese Lösungen noch unter ganz anderen Problemen leiden.
Aktuelle Apps lösen diese Probleme auch nicht
Die neuste und wohl populärste Warnapp in Deutschland ist NINA. In der App sollen alle möglichen Warnungen samt Handlungsempfehlungen angezeigt werden. Das reicht von Informationen zur Coronapandemie über Hochwässer bis hin zu Bombenfunden oder Großbränden. Praktisch ist auch, dass eine Karte mit eingezeichneten Gefahrenbereich angezeigt wird. Jeder Nutzer kann für sich interessante Standorte hinzufügen, bei denen Warnungen angezeigt werden sollen. Zusätzlich gibt es noch die Möglichkeit, abhängig vom aktuellen Gerätestandort Warnmeldungen zu erhalten. Alles in allem eine durchaus moderne und ansprechende App, die nur vom Vorhandensein eines Smartphones mit Internetverbindung abhängt.
Es gibt durchaus Vorteile gegenüber dem Cell Broadcast an sich. Korrekt entwickelt gibt es auch keine Beanstandungen, da die App dann lediglich die gleichen Probleme wie Cell Broadcast hat (mit der Ausnahme, dass die App auf Dumbphones nicht funktioniert). Doch genau daran scheitert es. NINA hat eine große Abhängigkeit von Google2. Zum Einen werden Bibliotheken von Google für Analyse des Nutzerverhaltens sowie etwaigen Abstürzen eingebunden. Weiterhin nutzt die App Kartenmaterial von Google Maps. Das bedeutet für den Nutzer, dass all seine Interaktionen mit dieser App auch mit Google geteilt werden. Noch viel schlimmer ist jedoch die Abhängigkeit von Google Firebase Cloud Messaging, um Pushnachrichten zu verschicken3. Jede Pushnachricht geht also über Google. Sollten also einmal die Systeme von Google ausfallen, worauf Deutschland keinerlei Einfluss hat, kann man diese App vergessen. Cell Broadcast dagegen hat keinerlei solche internationalen Abhängigkeiten.
Es ist Zeit, zu handeln
Besonders wegen den aktuellen Hochwässern ist die Debatte um den Zustand der Warninfrastruktur wieder hochgekocht. Bezeichnend dabei ist, dass der Warntag 2021 auf das nächste Jahre verschoben wird 4. Fühlt sich fast so an, als ob seit 2020 nichts passiert ist. Diese Tatenlosigkeit nutzt uns überhaupt nichts.
Traut euch und implementiert endlich Cell Broadcast als weiteres Warnmittel. Bis März 2022 ist nicht mehr allzu viel Zeit. Wenn ihr aber EU-Alert oder andere bereits funktionierende Systeme als Vorlage verwendet, kann es nicht so schwer sein. Nachtrag: Die Bundesregierung möchte nun doch Cell Broadcast einführen. 5
Seht zu, dass ihr die Funklöcher geschlossen bekommt. Nur so können Menschen überhaupt über ihre mobilen Endgeräte miteinander kommunizieren und auch Warnungen empfangen.
Zu guter Letzt sollte Software die vom Staat entwickelt wurde, quelloffen sein und überhaupt keine externen Abhängigkeiten besitzen. Die Corona Warn App ist ein gelungenes Beispiel dafür.
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32018L1972 Artikel 110; Erwägungsgründe 293ff.